Bluestar Kapitel 1

Ich bin Bluestar. Ein Pferd von Welt. Ein prächtiger Hengst, muskulös, schnell wie der Wind, klüger als so mancher Zwei-Beiner – und leider, ja leider, der ständige Begleiter von George Miller. Der Kerl ist Kopfgeldjäger. Ein harter Hund, der seine Brötchen mit dem Einfangen von Banditen verdient. Und ich? Nun ja, ich bin sein treuer Begleiter – ob ich will oder nicht.

An diesem heißen, staubigen Tag ritten wir in eine Stadt, die für meinen Geschmack etwas zu nobel daherkam. Normalerweise zieht es George direkt in den Saloon, um sich ein paar Whisky hinter die Binde zu kippen, während ich mir draußen von einem mitleidigen Passanten eine Karotte schnorren lasse. Doch heute war alles anders. Anstatt vor dem Saloon hielten wir vor einem feudalen Hotel, dessen Pracht hier draußen im Wilden Westen vollkommen fehl am Platz wirkte. Ich hatte die Vermutung, dass es gleich unangenehm werden würde.

George schwang sich von meinem Rücken, klopfte mir freundschaftlich an den Hals – als hätte ich das nicht schon tausendmal erlebt – und verschwand durch die schweren Flügeltüren des Hotels.

Während ich also wartete und versuchte, nicht unter Langeweile zusammenzubrechen, beobachtete ich eine Szene, die mein Interesse weckte. Eine junge Frau – elegant, hochnäsig und mit einem Kleid, das sicher mehr gekostet hatte als unser gesamter Jahreslohn – stritt sich mit einem Ladenbesitzer. Ich wusste nicht genau, worum es ging, aber die Dame fuchtelte mit einer Federboa herum, als wäre sie eine Königin, die ihre Untertanen in den Staub zwingen wollte. Der Ladenbesitzer schien wenig beeindruckt. Ich auch.

„Tss… Menschen“, schnaubte ich.

Kurz darauf kam George aus dem Hotel. Und – oh Junge – sein Gesicht sprach Bände. Wenn er ein Donnerwetter hätte sein können, dann wäre ich jetzt nass gewesen.

„Du glaubst nicht, was ich gerade für einen Auftrag bekommen habe, Bluestar“, knurrte er.

Ich spitzte die Ohren.

„Ich soll dieses verwöhnte Gör von einer Eisenbahner-Tochter quer durchs Land eskortieren und beschützen! Eine verdammte Babysitter-Mission!“

Ich schielte zu der jungen Frau, die nun mit verschränkten Armen und wütendem Blick dastand. Ihr Vater, ein steinreicher Eisenbahnmagnat, hatte offenbar beschlossen, dass seine Tochter sicher reisen sollte – und wer wäre dafür besser geeignet als ein mürrischer Kopfgeldjäger und sein edles Ross?

Ich schnaubte abfällig.

„Nix da! Such dir ’nen anderen Esel, George.“

Natürlich verstand George meine Worte nicht (Menschen sind nicht besonders helle), aber meine Körpersprache war unmissverständlich. Ich schüttelte den Kopf, stampfte mit den Hufen und schob meine Ohren so weit zurück, dass selbst ein Laie verstanden hätte: Ich. Mach. Da. Nicht. Mit.

Aber George wäre nicht George, wenn er sich von einem sturen Pferd aufhalten ließe. Nach einer hitzigen Diskussion, in der er mir versicherte, dass es mir egal zu sein habe, wen wir transportieren, ergab ich mich schließlich widerwillig.

Die junge Dame, Grace hieß sie, musterte mich mit einer Mischung aus Abscheu und Unsicherheit. „Ihr wollt mich ernsthaft auf dieses... dieses... Tier setzen?“

Tier?! Ich bin ein verdammter Traum von einem Hengst!

George verzog keine Miene. „Ja.“

Grace fauchte. „Ich bin es gewohnt, mit einer Kutsche zu reisen. Ich werde doch nicht einfach so auf ein Pferd steigen wie... wie eine gewöhnliche Bäuerin!“

„Tja, willkommen im Wilden Westen, Prinzessin“, brummte George, packte sie und hob sie kurzerhand auf meinen Rücken.

Ich rollte mit den Augen.

Kaum saß Grace halbwegs sicher auf mir, ließ sie einen entsetzten Schrei los. „Mein Schuh!“

Einer ihrer feinen, völlig unpraktischen Schuhe war beim Hochheben heruntergefallen. Ich hätte gelacht, wenn Pferde das vernünftig könnten.

George bückte sich, hob das edle Stück auf und wollte es ihr in die Hand drücken. Aber nein. Die Dame hatte andere Vorstellungen.

„Zieh ihn mir an“, befahl sie.

Ich riss die Augen auf. Das wird jetzt nicht wirklich passieren, oder?

George war sprachlos. Einen Moment lang schien er abzuwägen, ob es sich lohnt, weiterzudiskutieren – entschied sich dann aber dafür, dass es schneller ging, einfach nachzugeben. Also kniete er sich hin und versuchte, Grace den Schuh anzuziehen.

Aber, oh Junge, das war ein Desaster.

George drückte. Grace quietschte. Ich sah das Unheil kommen.

„Nicht so fest, Sie Grobian!“

„Hör auf, dich zu winden!“

„Das tut weh!“

„Dann mach’s selbst!“

Plötzlich – PLOPP! – rutschte der Schuh mit zu viel Kraft auf ihren Fuß, und die feine Dame verlor das Gleichgewicht.

Grace fiel. Rücklings. Vom Pferd.

Ich konnte mich nicht mehr halten. Ich lachte. Und zwar so richtig. Also gut, es war ein lautes, zufriedenes Schnauben, aber für Pferdeverhältnisse war das dasselbe.

George sah mich missmutig an. „Sehr witzig, Bluestar.“

„Und ob das witzig ist!“ Wenn ich hätte sprechen können, hätte ich es laut hinausposaunt.

Grace lag derweil im Staub und funkelte George mit einem Blick an, der töten könnte.

„Das.. wird... Konsequenzen haben!“, fauchte sie.

Ich hatte das Gefühl, dass diese Reise sehr, sehr unterhaltsam werden würde.


Ein Song, inspiriert vom ersten Kapitel