

Der Zauberer und die Zaubermaus
Es war ein sonniger Nachmittag, und die kleine Gartenparty zum siebten Geburtstag von den Zwillingen war in vollem Gange. Der Kuchen war gegessen, die Geschenke ausgepackt, und jetzt standen die Kinder gelangweilt um eine dürftig aufgestellte Bühne herum. Mitten darauf stand ein alter Mann, gekleidet in einen speckigen, schief sitzenden Zauberumhang, sein grauer Bart flatterte leicht im Wind. Es war Nepomuk, der Zauberer, eine einstige Größe der magischen Welt, der seine besten Tage schon vor Jahrzehnten hinter sich gelassen hatte.
Mit einer dramatischen Geste zog er einen Hasen aus einem Zylinderhut. Oder zumindest versuchte er es. Der Hase wollte nicht so recht, und Nepomuk musste unter Fluchen den Hut schütteln, bis das verängstigte Tier herauspurzelte. Die Kinder kicherten nicht einmal – sie rollten mit den Augen. „Das hab ich auf YouTube besser gesehen!“ rief eines von ihnen, und Nepomuk fühlte, wie ein Stich durch sein Herz ging.
Er versuchte es mit einem Kartentrick. Die Karten fielen auf den Boden. Er zeigte den klassischen „zerrissenes Taschentuch wiederherstellen“-Trick – das Taschentuch blieb zerrissen. Die Kinder begannen, sich gegenseitig zu schubsen und auf ihren Handys zu spielen. Kein einziges Lächeln war ihm vergönnt. Nepomuk hielt tapfer durch, aber in seinem Inneren brodelte die Traurigkeit wie ein unterdrückter Vulkan. Schließlich packte er seine Requisiten zusammen, sein alter Zauberkoffer quietschte, und eine Träne rollte über seine Wange. „Vielleicht war das mein letzter Auftritt“, murmelte er leise zu sich selbst.
Unbemerkt von den Menschen hatte eine kleine Maus das gesamte Spektakel aus einem Loch in der Gartenmauer beobachtet. Ihre winzigen Augen glänzten vor Begeisterung. Sie war fasziniert von Nepomuk, nicht wegen seiner missglückten Tricks, sondern wegen seines unermüdlichen Versuchs, Magie in die Welt zu bringen. Als Nepomuk seine Sachen zusammenpackte und niedergeschlagen davon trottete, beschloss die Maus, ihm zu folgen. „Ich werde Zaubermaus“, piepste sie leise zu sich selbst.
Nepomuk wohnte in einer kleinen, düsteren Wohnung am Rand der Stadt. Die Tapete löste sich von den Wänden, und die Möbel hatten bessere Tage gesehen. Er ließ seinen Koffer achtlos in eine Ecke fallen, setzte sich an den Tisch und schmierte sich ein Marmeladenbrot. Sein Gesicht war eine Maske der Einsamkeit. Tief seufzend biss er ab, während die Maus leise durch einen Spalt in der Tür schlüpfte.
Mit klopfendem Herzen sprang sie auf den Tisch. „Das ist meine Chance“, dachte sie. Doch als Nepomuk die Maus entdeckte, schrie er erschrocken auf. „Eine Maus! In meiner Wohnung!“ Er griff nach einem Kochlöffel und schlug nach ihr. Die Maus sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite. Nepomuk jagte sie, und in der kleinen Wohnung brach das Chaos aus: Der Tisch fiel um, der Marmeladenteller zerschellte, ein Bücherstapel krachte zu Boden. Schließlich setzte sich Nepomuk entnervt mitten ins Chaos, das Gesicht in den Händen vergraben, und begann zu weinen.
Die Maus, die sich hinter einem umgestürzten Stuhl versteckt hatte, kroch vorsichtig hervor. Sie fand ein zerknittertes Taschentuch, zog es mühsam zu Nepomuk und legte es ihm vorsichtig auf den Schoß. Nepomuk sah auf, überrascht von der Geste. Vorsichtig hob er die Maus auf seine Hand. „Es tut mir leid“, sagte er leise. „Ich wollte dich nicht verletzen. Du kannst hierbleiben, wenn du willst. Ich werde diese Wohnung sowieso bald verlassen.“
Die Maus wackelte mit den Ohren und begann hektisch, mit ihren Pfoten Zauberbewegungen nachzuahmen. Nepomuk sah sie verständnislos an, bis es ihm dämmerte. „Du willst... Zaubern lernen?“ fragte er erstaunt. Die Maus nickte eifrig. Zum ersten Mal seit langer Zeit huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Na gut“, sagte er. „Dann werde ich dir alles beibringen, was ich weiß.“
Die folgenden Tage waren ein Spektakel für sich. Nepomuk und die Maus – die er inzwischen „Alina“ getauft hatte – trainierten unermüdlich. Nepomuk brachte ihr bei, wie man Münzen verschwinden ließ und Seidentücher aus dem Nichts hervorzauberte. Alina hatte ein natürliches Talent für Magie und war ein Meister der Ablenkung – vor allem, wenn sie charmant mit ihren kleinen Mäuseaugen klimperte.
Eines Tages wagten sie sich gemeinsam auf die Bühne. Das Publikum war skeptisch, als Nepomuk erschien, doch als Alina auf ihrer winzigen Zauberplattform auftauchte, brachen alle in Gelächter aus. Die Tricks liefen perfekt, und Alina brachte das Publikum mit ihren frechen Mäusekünsten zum Johlen.
Ein Zuschauer filmte die Show und stellte sie ins Internet. Über Nacht wurden Nepomuk und Alina zu viralen Stars. Sie traten in Talkshows auf, erhielten Einladungen zu großen Veranstaltungen und füllten ganze Theater. Nepomuk‘ Gesicht strahlte vor Glück, und Alina wurde als „die erste Zaubermaus der Welt“ gefeiert.
Und so fand Nepomuk nicht nur seinen Lebensmut, sondern auch einen neuen besten Freund – oder besser gesagt, eine Zauberpartnerin.


