Die Eule und der Schmetterling

Es war einmal ein alter, dichter Wald, in dem viele Tiere lebten. In einer hohlen Eiche wohnte die Eule Kracks. Sie war klug und konnte die Welt mit wachsamen Augen betrachten, selbst in der tiefsten Nacht. Ihre Freundin war der Schmetterling Miff, ein zarter, bunter Falter, der einst durch den Wald tanzte wie ein Sonnenstrahl im Wind.

Doch mit der Zeit verlor Miff seine Farben. Er flatterte nicht mehr mit Leichtigkeit, sondern ließ sich oft einfach auf einen Ast sinken und starrte ins Leere. Seine Flügel schienen schwerer geworden zu sein, und die Blumen, die er einst so liebte, interessierten ihn nicht mehr.

Kracks sah dies mit Sorge. „Miff, was bedrückt dich?“ fragte sie eines Abends, als der Schmetterling wieder reglos auf einem Ast saß.

„Nichts“, murmelte Miff. „Ich bin nur ein wenig müde. Ich brauche nur ein bisschen Zeit.“

Aber die Zeit verging, und Miff wurde es nicht besser. Sie schlief schlecht, verlor ihren Appetit und vermied das Sonnenlicht. Die anderen Tiere bemerkten es kaum, doch Kracks konnte es sehen.

Eines Nachts setzte sie sich zu ihr und sprach mit leiser, warmer Stimme: „Miff, ich glaube, deine Flügel sind müde, weil dein Herz müde ist. Ich sehe, dass die Farben verblassen. Und ich weiß, dass es nicht nur Erschöpfung ist.“

Miff wandte den Blick ab. „Ich bin nicht krank. Ich bin nur nicht glücklich. Aber das geht vorbei.“

Die Eule schwieg lange, dann sagte sie sanft: „Es ist nicht deine Schuld, Miff. Manchmal wird der Himmel grau, selbst wenn die Sonne scheint. Und manchmal brauchen wir Hilfe, um wieder zu fliegen.“

Der Schmetterling schloss die Augen. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass Kracks recht hatte. Aber es war schwer, das zu akzeptieren.

Tag für Tag blieb die Eule bei ihr. Sie redete nicht immer, manchmal saß sie einfach nur still an ihrer Seite. Sie brachte ihr Blätter, auf denen der Morgentau glänzte, und erzählte ihr Geschichten vom Wind und den Sternen.

Langsam, ganz langsam, begann Miff wieder zu atmen. Sie fing an, kleine Flüge zu wagen, nur für ein paar Herzschläge. Und eines Morgens, als die Sonne über den Wald kroch, bemerkte sie ein zartes Blau an ihten Flügeln – eine Farbe, die zurückkehrte.

„Es braucht Zeit“, flüsterte Kracks. „Aber du wirst wieder fliegen, Miff. Und wenn du es nicht allein schaffst, dann werde ich dich tragen.“

Der Schmetterling sah sie an, und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich ihr Herz ein wenig leichter an.

Und so begann Miff ihre Reise zurück ins Licht – langsam, Schritt für Schritt, aber niemals allein.